Männer und Technik
Ich frage mich oft, wie das Gehirn einer Frau funktioniert. Welche Signale empfängt es, wie erfolgen die Verarbeitung und Speicherung von Informationen? Wann läuft es auf Standby? Das mit dem Offline-Modus, was im Übrigen bei einem Mann außerhalb seines Arbeitsplatzes, des Homeoffice und des Hobbykellers der Normalmodus ist, kommt bei einer Frau nicht vor. Zumindest nicht bei Karla. Sie denkt immer nach. Nicht zwingend über Quantenphysik, die Rettung der Welt und die Heilung von Dummheit, aber sie denkt. Dauernd. Leider führt vermehrte Sinneswahrnehmung und Verarbeitung durch ihren Denkapparat dazu, dass folgende Situation entsteht.
Wir liegen nach einem für uns beide anstrengenden Tag auf dem Sofa, auf dem Tisch stehen zwei Schüsseln mit Erdnüssen und Flips und im Fernseher läuft die Serie, die Karla mag und bei der ich längst den Anschluss verpasst habe. Man darf sich als Mann gar nicht reindenken. Da haben wir das andere Geschlecht seit Jahrhunderten unterdrückt, diskriminiert und klein gehalten und trotzdem verlieren wir jeden Abend den stillen Kampf um die Fernbedienung. Kein Männerbeauftragter oder der Gendervertreter für den Hausaufgang in der Nähe, keine Suffragette, die für Gleichheit sorgt. Karla bestimmt das Programm. Mitten in die beziehungsfördernde Romantik in unserem Wohnzimmer greift Karla zur Fernbedienung (wer auch sonst?), stoppt den Film, schaut mich mit zusammengekniffenen Augen an und füllt die dreißig Zentimeter Abstand zwischen unseren Gesichtern mit theatralischer, aber vor allem mit sehr dicker Luft. Ich rekapituliere kurz, welcher Verfehlungen ich mich schuldig gemacht haben könnte. Habe ich etwas vergessen, ihr versprochen, aber nicht gehalten, jemanden nicht angerufen, war sie beim Friseur oder haben wir unseren Jahrestag? Die letzte Frage stellte ich mir natürlich innerlich nur im Scherz, denn die Situation schreit nach Auflockerung.
»Wann montierst du endlich die Deckenlampe?«, fragt sie vorwurfsvoll und der gesamte Abend ist im Eimer.
Genau so stelle ich mir die Arbeit am CERN in Genf vor. Alles ist schön und wunderbar und dann schießt ein Wissenschaftler zwei Teilchen aufeinander und Schwupps! Schrumpft die Erde auf die Größe einer Walnuss zusammen. Eine ähnliche Komprimierung des Raums spüre ich gerade. In meinem Herzen, meinem Bauch, ach, im Grunde überall. Können wir uns nicht einfach mal in Ruhe einen Film anschauen?
»Seit vier Jahren kommen da nur ein paar Kabel aus der Decke, aber dich stört das scheinbar nicht, oder?« Dabei legt sie in die Ansprache an mich eine Betonung, als würde mich etwas in der Größenordnung von Massenvergewaltigungen, dem Hunger der Welt und dem Klimawandel nicht interessieren.
Ich schaue nach oben und bin überrascht, dass es tatsächlich so ist. Karla hatte mich neulich erst daran erinnert.
»Dabei habe ich dich vor über einem halben Jahr das letzte Mal gebeten, die Lampe aufzuhängen, aber dich hebt das ja nicht.«
»Hm«, sage ich vorsichtshalber und verkneife mir die Bemerkung, dass es mich an einem gemeinsamen Fernsehabend ganz sicher nicht stört. Dass es mich aber stört, dass damit wohl ein einvernehmliches körperliches Finale für heute im Eimer ist. Erst recht streiche ich für alle künftigen Vereinigungen die Missionarsstellung, wenn sie dauernd auf die Kabel schaut und sonst was in der Wohnung findet, was noch nicht repariert ist und sie nur deshalb nicht kommen kann, weil sie gar nicht bei der Sache ist.Es scheint mir eh so zu sein, dass Frauen Sex mit einem Einhundertmeterlauf verwechseln. Und das auf eine tragische Art und Weise. Denn der Mann rennt nach dem Startschuss los, fokussiert sich aufs Ziel und kommt an. Die Frau schaut alle paar Meter, ob die Spikes gut greifen, ob das Trikot sitzt, ob der Fingernagellack noch glänzt, oder sie einen Bekannten unter den Zuschauern erkennt. Dann fragt sie sich, wie sie wohl aussieht bei körperlicher Betätigung, ob sie einen Winkearm hat oder Cellulitis und durch all das, was ihr während des Laufs durch den Kopf geht, gibt sie bei Meter 85 auf. Weil sie nicht bei der Sache ist. Und jetzt konzentriert sich Karla nicht einmal aufs Fernsehen und den romantischen Abend. Vielleicht ist dies eines der größten Missverständnisse zwischen den Geschlechtern. Für uns Männer ist die Arbeit der moderne Kampf, das Jagen nach der Beute Geld, die wir erlegen und nach Hause bringen. Dort angekommen, suchen wir nach Erholung, Zerstreuung, Nahrung und Sex. Das war’s. Der Nestbau ist uns genauso egal wie das Ablaufdatum auf irgendwelchen Nahrungsmitteln. Wir laufen erfolgreich im Standby. Dagegen betrachtet die Frau sowohl ihre Arbeit, das eigene Nest, als auch die Partnerschaft als Optimierungsmodell.