Kaleidoskop

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Beschreibung
LESEPROBE

Über Nacht verschwand die kleine Welt der Kindheit. Sie löste sich auf. Das eigene Land schrumpfte ins Nichts und verblieb fortan als bloßer Eintrag in zukünftigen Geschichtsbüchern. Eine kurze Sequenz von vier Jahrzehnten, die nachfolgende Generationen als Merkzahlen im Unterricht lernen würden. Wir standen an der Schwelle zur Jugend, zum Erwachsenwerden und die Fragmente der Vergangenheit boten keinen Halt mehr. Wir traten durch unseren gemeinsamen Türrahmen ins entstehende Gebäude einer Gesellschaft, die sich neu formte. Für manche war es ein Schritt in die vermeintlich bodenlose Leere, andere hofften auf Straßen voller Gold und fanden dieses verheißungsvolle Pflaster hier und da sogar. Dana Schwarz-Haderek interviewte 26 Zeitzeugen und erzählt daraus Geschichten über das Gewinnen und Verlieren während der Wendezeit, zeigt Um- und Aufbrüche aus einer Zeit, die alles ermöglichte. Ein Kaleidoskop aus Chancen, Neubeginn, Mut und Angst.

"Im Frühsommer 1989 rückten die Abiturprüfungen näher und in Emmas Leben überschlugen sich die Ereignisse. Ihr Freund, unlängst zur Armee in Erfurt eingezogen, durfte, wie in der NVA üblich, über Monate keine Heimatbesuche antreten. […] Sie fuhr jedes Wochenende in die Kaserne, lernte mit ihm für das Abitur, vor allem im Fach Mathematik, […] und staunte, dass ihr Freund keinerlei Ahnung vom zunehmenden Brodeln im Bodensatz des Landes hatte. Er wusste nichts von all den Friedensdemonstrationen. Die Flüchtlingsbewegungen gingen an ihm vorbei. Und eines Tages, während in der Stadtkirche zu Jena plötzlich Friedensveranstaltungen mit Günter Grass, Freya Klier und Stephan Krawczyk stattfanden, wurde er mit scharfer Munition ausgerüstet und die Angst ergriff Emma, dass ihr Freund ihr bald schon mit Schießbefehl auf einer Demonstration gegenüberstehen könnte."

Dana Schwarz-Haderek - Kaleidoskop - Lebenswege, 173 Seiten, Klappenbroschur, ISBN 978-3-941935-29-7, Ladenpreis 15,00 EUR

Langsam entwuchsen wir unseren Elternhäusern und der Tag kam, an dem wir die Klinken der Türen ins Le-ben erstmals herunterdrücken sollten. In den Turbulenzen der Wendejahre, die einem Glücksrad glichen, das die Weichen täglich neu stellte, konnte niemand ahnen, was wir für uns entdecken und wo wir uns finden würden. Wir traten durch unseren gemeinsamen Türrahmen ins entstehende Gebäude einer Gesellschaft, die sich neu formte. Für manche war es ein Schritt in die vermeintlich bodenlose Leere, andere hofften auf Straßen voller Gold und fanden dieses verheißungsvolle Pflaster hier und da sogar.
Die Wahrheit um unsere Jugend, unseren Erfolg im Le-ben und unsere Träume liegt wohl irgendwo zwischen Vakuum und Hochglanz. Wir alle teilen trotz der persönlichen Vielfältigkeit der Familien und Freundeskreise eine gemeinsame, vergleichbare Kindheit entlang uniformer ostdeutscher Strukturen und splittern dann mit dem Fallen der Berliner Mauer und der innerdeutschen Grenzen in tausende individuelle, sich immer wieder verändernde Lebensbilder eines lebendigen Kaleidoskops.
Dies sind Geschichten, die einzigartig sind, weil sie in ihrem Ursprung nicht einzigartig sind. Sie trugen sich vielerorts zu. In diesem Haus und im übernächsten auch. Man kennt sie in der Nachbarstraße und ebenso in all den umliegenden Städten und Dörfern. Die Fallstricke des jähen Wandels lagen landauf, landab aus. Sie sind längst nicht an jedem Ort entdeckt und weggeräumt und durchliefen anderenorts eine Metamorphose zu wahren Sprungbrettern. Unsere Biographien bestimmen sich durch Herkunft, Tradition und gesellschaftliche Realitäten. Unsere Skripte von Träumen, Wünschen und Gedankenreisen schrieben sich oft in pragmatisch erreichbare Ziele um, die nicht weniger herausforderungsvoll und häufig sogar erfüllend sind.
Manchmal führen sie ein Leben lang den Makel der Wehmut mit sich und manchmal beinhalten sie aber auch ewig währende Dankbarkeit ob unerwartet aufgetretener Chancen und großen Glücks.
Wir sind die Kinder der 1960er und 1970er Jahre, die ihre Kindheit in der DDR verlebten und in der BRD erwachsen wurden.