Mit Goebbels hat man nichts als Ärger. Ich sollte das wissen, sagt mein Kollege Kurt. Den alten Reichshetzer und seinen totalen Krieg auszugraben, ist zwar kein Spaß, muss aber sein, sage ich. Um den Schülern mal die grausame Macht des gesprochenen Wortes zu demonstrieren, sage ich auch noch, und damit ich mich Kurt gegenüber pädagogisch überlegen fühlen kann, sage ich noch irgendeinen Satz, in dem die Worte Geschichtsbewusstsein, Verantwortung und Sensibilisierung vorkom-men. Mag schon sein, dass ich mich gleich so tief in die Scheiße reite, dass ich nie wieder rausfinde. Nicht meine Worte – die von Kurt. Aber hält mich das ab? Nach einer gewissen Anzahl von Jahren im Schuldienst hat man sich ein wenig Beratungsresistenz verdient, finde ich. Ich ziehe die Tür des Leh-rerzimmers hinter mir zu. Sie lacht mich aus und macht ein Geräusch wie ein nasser Furz.
In der Parallelklasse nehmen sie Songtexte durch. Sorry, aber ich geh’ da nicht mit. Auch im Jahr 2014 gehört ein Gangsterrapper noch immer auf die Straße und nicht in mei-nen Unterricht. Wie tief soll ich denn noch sinken? Wahrscheinlich habe ich Angst, dass die Musikproleten bei den Schülern der 10b nur noch beliebter werden, wenn ich versuche, sie schlechtzumachen. Das kann mir mit dem alten Goebbels nicht passieren. Sie kennen ihn ja nicht. Als ich die schwere Eisentür zum Klassenzimmer öffne, bin ich mir nicht sicher, ob meine Hände feucht sind oder ob wieder jemand auf die Klinke gespuckt hat. Na bravo. Drinnen ist alles wie gehabt, mein Eintreten bleibt weitestgehend unbemerkt. Der staubige Holzboden ist mit zerknüllten Arbeitsblättern und Sonnenblumenkernschalen übersät. Die Arbeitsblätter, die nicht zerknüllt sind, tragen Abdrücke von Schuhsohlen. Ich bin fast ein wenig erleichtert, dass die Arbeit meines Mathematikkollegen eine ähnliche Wertschätzung genießt wie meine eigene. Das Parkett könnte durchaus aus Goebbels Zeit sein. Den Boden abzuziehen, hat man sich schon vor 20 Jahren nicht mehr getraut. Nun ist es nicht mehr nötig. Die Mischung aus hunderten Schichten von Arbeitsblättern zusammen mit dem Staub und der Brühe aus umgekippten Cola- und Eisteeflaschen hat den Boden bestimmt prima versiegelt.
»Bitte mal Ruhe, Leute ...«
»Herr Kern, gucken wir schon wieder so schwarzweiß?«
»Ihr werdet es überleben. Das hier ist ein extremes Beispiel für NS-Propaganda ...«
»Popo-ganda! Voll schwul, Digger! Popo-ganda! Herr Kern, isch will kein Popo-ganda, isch will Pussy-ganda!«