adakia Pocket Vol. 12 Brigitte Lamberts: El Gustario de Mallorca

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Kleine Köstlichkeiten: Tapas und Pinchos

Ses Illetes. Nördlicher Küstenabschnitt hinter der Cala Illetes. Der Himmel ist leuchtend blau und wolkenlos, doch die Sonne hat ihre Strahlkraft an diesem Samstagvormittag im Frühling noch nicht entfaltet. Vom Meer kommt eine kühle Brise ins Land. Sven bleibt stehen und atmet tief ein. Es riecht salzig und nach Algen, die im Frühjahr und Herbst massenhaft an die Strände geschwemmt werden. Dann schließt er die Augen und wendet sein Gesicht der Sonne zu. Er genießt das mil-de Klima, das leise Plätschern, wenn das Meerwasser die Klippen umspült, und den harzigen Duft der Pinien, die überall hinter den Felsen wachsen.
Vor vier Jahren hatte er sich entschlossen, für immer auf Mallorca zu bleiben. Die beste Entscheidung seines Lebens. Damals war er für drei Monate auf die Insel gekommen, um einen kulinarischen Reiseführer über Mallorca zu schreiben. Als das Projekt zu Ende ging, wollte er nicht zurück. Zu sehr gefiel es ihm auf seiner Lieblingsinsel. Obwohl er in seiner Heimat, in Düsseldorf, einen exzellenten Namen als Gastrokritiker besaß, hatte er seinen ganzen Mut zusammengenommen und hier noch einmal von vorne angefangen. Die erste Zeit war nicht einfach gewesen, doch mittlerweile hat er sich beruflich etabliert und gute Freunde gefunden. Svens Gesicht bekommt einen verträumten Ausdruck: Er hat sich verliebt, bis über beide Ohren, in Sofia. Und wie es aussieht, kann auch sie sich ein Leben mit ihm zusammen vorstellen.
Sven öffnet die Augen und dreht sich nach Sofia um, die ein Stück zurückgeblieben ist. Als sie ihn erreicht, schlendern sie gemeinsam weiter über das zerklüftete Felsplateau. Immer wieder macht er sie auf Unebenheiten im Gestein aufmerksam: Spalten, herausgebrochene Partien mit scharfen Kanten. Sie verzieht amüsiert das Gesicht. »Schau lieber, dass du nicht selbst auf die Nase fällst.« Dann stupst sie ihn an. »Die Idee mit den Wanderschuhen ist übrigens Gold wert.« Sven lächelt sie an, nimmt sie in die Arme und küsst sie leidenschaftlich. Danach kuschelt sich Sofia mit dem Rücken an seine Brust und er umarmt sie fest. Schweigend blicken sie auf das Meer: An den Klippen wirkt das Wasser fast schwarz, dann wieder mittelblau oder tür-kisfarben, zuweilen schieben sich dunklere Abschnitte dazwischen. »Wollen wir weitergehen und die Landzunge noch umrunden?« Eine rhetorische Frage, glaubt Sven, der Sofias Ton schon gut zu deuten weiß. Sie liebt lange Spaziergänge und freut sich, wenn sie die Landschaft und das Meer genießen kann.
»Du weißt doch, was kommt: Noch eine Bucht, noch ein kleiner Strand, was sonst.«
Sofia lacht. Dass Sven kein großer Strandläufer ist, hat sie mittlerweile verstanden. Aber der Ausflug war sein Vorschlag. Da muss er jetzt durch, denkt sie und zieht ihn an der Hand mit sich. Kaum haben sie die mit alten Steineichen bewachsene Landzunge hinter sich gelas-sen, breitet sich vor ihnen ein langgezogener Sandstrand aus. Keine Menschenseele ist zu sehen. Nur das Geschrei der Möwen durchbricht die Stille.
»Oh, wie wunderschön! Ob hier in der Hauptsaison viele Touristen anzutreffen sind?« Sven hebt zweifelnd die Schultern. »Auf der Landkarte sah es nicht so aus, als ob ein Weg hierher führt.« Er kneift die Augen zusammen und starrt in die Ferne. »Siehst du das da hinten?« Er zeigt Richtung Norden. Sofia nimmt ihre Sonnenbrille ab und schaut angestrengt. »Da ist ein Haus. Aber das ist schon in der nächsten Bucht.«
»Komm, das gucken wir uns an.«
Sie schüttelt den Kopf. »Hattest du mir nicht ein Mittagessen in Lucías Tapas-Bar versprochen?«
Er wendet sich ihr grinsend zu. »Versprochen ist versprochen, aber die Tapas müssen wir uns erst noch verdienen.«
Sofia kann sich gerade noch die Bemerkung verkneifen: Spazierengehen als Selbstzweck ist dir fremd, aber sobald es etwas zu entdecken gibt, bist du hochmotiviert. Sie überlegt. So ganz stimmt das nun auch wieder nicht. Sven ist zwar ein Bewegungsmuffel, und sie möchte nicht wissen, wie oft er in seinen alten Porsche steigt, obwohl er die Strecke auch zu Fuß zurücklegen könnte, aber auch er liebt die Natur, vor allem auf Mallorca. Das typisch mallorquinische Licht, das sich wie ein Weichzeichner über alles legt, die milde Luft, die beeindruckenden Felsen am Meer und die vielfältigen Grünschattierungen der Vegetation. Also nickt sie und folgt ihm. Die beiden stapfen den langen Sandstrand entlang.
Sofia rümpft die Nase. »So viele Algen und es riecht nicht nur nach Meer, sondern muffig.«
»Ja, hier sind es besonders viele. Das mag an der Strömung liegen.« Dann zieht Sven die Luft tief ein. »Etwas fischig und nach Schwefel.« Er denkt kurz nach. »Irgendwo habe ich gelesen, dass dieser Geruch von Dimethylsulfiden kommt, einem Gas, das bestimmte Bakterien freisetzen.«
»De veres?«, kommt es langgezogen von Sofia. »Ob die Gemeinde das Gestrüpp wegschaffen lässt?«
»Das kann ich mir nicht vorstellen«, antwortet er. »Die haben genug zu tun, die beliebten Strände davon zu befreien.«
Sofia geht in die Hocke und betrachtet die getrockneten Gräser genauer. Bizarre Skulpturen, die wie ein Teppichgeflecht wirken und sich an manchen Stellen zu Hügeln zusammenschieben. »Ich habe gehört, dass nicht mal Experten so genau unterscheiden können, ob diese braunen Berge aus Algen oder Seegras sind. Und Seegras ist geschützt.«
Sven nickt. »Posedonia ist extrem wichtig für die Strände, es vermindert die Erosion und reinigt zudem das Meerwasser. Nur blöd, dass viele Segler und Mo-torbootfahrer darauf so gar keine Rücksicht nehmen und gedankenlos ihre Anker mitten ins Seegras werfen. Damit machen sie alles kaputt.«
Sofia seufzt und geht näher zum Meer. Hier ist der Sand feucht und es lässt sich besser gehen, auch wenn sie immer wieder den braun-schwarzen Hügeln, die halb im Wasser liegen, ausweichen muss.

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