Santanyí – ein ganz besonderer Ort
Palma. El Terreno. Sven zieht die Beifahrertür seines Porsches auf. Erst klettert Sofia auf den Notsitz, dann lässt sich Patricia in den tiefen Schalensitz fallen. Bevor er die Tür zuschlägt, wartet er auf den Kommentar der Großmutter von Sofia, die ihn jedes Mal, wenn sie in seinem Auto sitzt, darauf hinweist, er bräuchte dringend ein neues, der alte Porsche wäre eine Zumutung. Doch diesmal sagt sie nichts. Sven runzelt die Stirn. Geht es ihr nicht gut und wir haben es nur nicht bemerkt oder trumpft sie gleich mit einer anderen kleinen, aber liebevollen Attacke auf? Während er sich hinter das Steuer setzt, kommt dann doch noch eine Bemerkung von der resoluten alten Frau.
»Es wird Zeit, ein anderes Auto für dich zu organisieren. Du wirst auch nicht jünger und das Einsteigen eben sah nicht so elegant aus wie noch vor einigen Monaten.«
Ihm verschlägt es die Sprache. Fassungslos hört er, wie Sofia auf dem Notsitz in schallendes Gelächter ausbricht.
»Nun mach mal einen Punkt. Ich bin gerade mal in den Vierzigern«, erwidert er konsterniert. Doch es ist zu spät. Wieder einmal hat er Patricia die optimale Steilvorlage serviert.
»Tja, bei den einen beginnt es eher, bei den anderen später«, murmelt sie wie beiläufig.
Sven schaut Patricia entrüstet an, doch gegen das Funkeln in ihren Augen kommt er nicht an. Ohne ein weiteres Wort legt er den Gang ein und fährt mit Schwung los. Sie wird in den Schalensitz gedrückt und jauchzt auf. Im Rückspiegel sieht er Sofias verärgerten Blick, die sich krampfhaft an den Lehnen der Vordersitze festhält. Um dem unangenehmen Thema auszuweichen, wechselt er zu seinem Spezialgebiet – Essen.
»Ich habe den Auftrag bekommen, einen Artikel über gute und beliebte Restaurants in Santanyí zu schreiben. Übrigens von der Redaktion eines der bekanntesten französischen Gourmetmagazine.«
Patricia betrachtet ihn aufmerksam.
»Wenn das so weitergeht, werde ich noch der beliebteste, gefragteste und renommierteste Gastrokritiker auf der ganzen Insel.« Sven strahlt über das ganze Gesicht.
»Nun ja, so groß ist unsere Insel nun auch wieder nicht«, gibt die alte Frau trocken zurück und schmunzelt. Sie liebt es, Sven zu provozieren, der aus Höflichkeit oder Respekt selten dagegenhält. Denn schlagfertig kann auch er sein, das hat sie in Gesprächen mit anderen schon längst erkannt. Egal, denkt sie, irgendwann werde ich ihn schon aus der Reserve locken.
»Àvia!«, tönt es entrüstet von der hinteren Bank. »Das ist doch super, ein französisches Gourmetmagazin.«
Doch die über 90-jährige Patricia gibt sich unbeeindruckt. »Ja, das ist schon mal was. Ein Fortschritt. Mehr solcher Aufträge wären aber noch besser!« Sie seufzt. »Sag uns lieber, wohin entführst du uns heute?«
Sven kennt Sofias Großmutter gut genug, um ihre Bemerkung als kleines Kompliment zu verstehen. Doch bevor er antworten kann, fragt seine Freundin: »Wieso Santanyí und wieso ein französisches Magazin?«
Sven lächelt. »Nun ja, mittlerweile haben auch die Franzosen diesen schönen Ort lieben gelernt. Im Sommer tummeln sich dort immer mehr französische Familien. Kein Wunder, ist das kleine Städtchen doch wunderschön, authentisch und ausgesprochen gepflegt.«
Patricia räuspert sich. »Und wo geht es nun hin?«, wiederholt sie etwas ungeduldig ihre Frage.
»Eigentlich soll ich dem Restaurant Laudat einen Besuch abstatten. Inhaber ist ein Mallorquiner mit deutschen Wurzeln und er hat zuvor in diversen Spitzenrestaurants gearbeitet, unter anderem als Maître und Somelier.«
»Da willst du aber nicht hin?«, fragt Patricia neugierig nach.
»Das Restaurant ist schon mehrfach ausgezeichnet worden. Erst kürzlich wurde es im Guide Michelin als ›Empfohlenes Restaurant‹ gelistet.« Sven macht eine kurze Pause, bevor er fortfährt: »Die Küche ist bestimmt ausgezeichnet und die Weine exzellent. Er, also Michael Laudat, soll ein ausgezeichneter Weinkenner und Weinliebhaber sein, aber ich will doch Restaurants aufspüren, die noch nicht so bekannt sind. Oder die zumindest noch nicht in irgendwelchen renommierten Gastro-Guides stehen.«
»Aha«, bemerkt Patricia und ein verschmitztes Grinsen umspielt ihre Lippen. »Das ist ja sehr rühmlich von dir, aber wohin geht es heute?«
»In das Anoa in Santanyí, das liegt an der Carrer de s’Aljub an einer der Ortseingangsstraßen an einer Gabelung.« Sven lacht. »Die Außenterrasse hat den Charme einer Verkehrsinsel.«
»Gibt es da inseltypische Gerichte?«, fragt Patricia.
»Nein, so wie die Karte im Internet vermuten lässt, kochen sie zwar mit saisonalen Produkten von der Insel, alles frisch, sehr kreativ, aber alles andere als mallorquín.«
»Och, mir macht das nichts, ich liebe die Abwechslung. Nur du bist immer so scharf auf mallorquinische Küche.«
Sven schaut stoisch auf die Straße. Er muss Patricia zustimmen, es geht ihm vor allem um die einheimische Küche, sie interessiert ihn nun mal besonders, nicht nur wegen der Berichte und Artikel, die er darüber verfasst. Was soll er ihr also antworten? Sofia allerdings hätte ihren Finger am liebsten in Patricias Rücken gebohrt, doch daran hindert sie der stabile Schalensitz.
Santanyí. Das Restaurant befindet sich in einem alten mallorquinischen Steinhaus mit dunkelbraunen Fensterläden aus Holz. Obwohl es direkt an einer Kreuzung liegt, hält sich die Geräuschkulisse in Grenzen. Trotzdem sitzt man auf der Außenterrasse nahe am Geschehen, was die Mallorquiner lieben. Ein knatterndes Motorrad nehmen sie schon gar nicht mehr zur Kenntnis. Das schwarze Schild über der Eingangstür mit dem weißen Schriftzug und beigefarbenem Emblem wirkt auf Sven modernistisch und gestylt. Er lächelt, als er von Chantal und Ronald, den niederländischen Inhabern, herzlich begrüßt wird.